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LA NANA – DIE PERLE

Haushälterin vs. Familie – ein ungleicher Kampf um einen Platz im Leben

Sebastian Silva | LA NANA | Chile 2009

Rachel (Catalina Saavedra) ist seit Ewigkeiten bei derselben Familie Haushälterin. Sie hat zwei Kinder mit großgezogen und bringt deren Eltern jeden Morgen das Frühstück ans Bett. Sie putzt der ganzen Familie hinterher, seit Jahren, selbstverständlich, zwanghaft. Sie lebt bei der Familie,  ist Teil deren Alltags und dieser Alltag ist ihr Leben. Ihr Leben spielt sich in den vier Wänden der Familie ab. Das ist alles, was sie hat. Und diesen Raum verteidigt sie. Mit allen Mitteln.

Jetzt ist sie über 40, zunehmend ausgelaugt und von Kopfschmerzen geplagt. Als sie zusammenbricht, engagiert Pilar (Claudia Celedón) ein zweites Mädchen zur Unterstützung ihrer “Perle”. Doch Raquel ist alles andere als pflegeleicht. Statt die Hilfe anzunehmen, fühlt sie sich auf ihrem angestammten Terrain bedroht. Erbittert verteidigt sie ihren Platz und schlägt ein Dienstmädchen nach dem anderen in die Flucht. Erst Lucy (Mariana Loyola) kann ihr mit ihrer unbekümmerten Art etwas entgegensetzen. Mit ihrer Hilfe findet Raquel nach und nach zu ihren Emotionen und zu sich selbst.

Obwohl dieses Kammerspiel mit wackeliger Handkamera und flauen Videobildern visuell wenig ansprechend wirkt (die matschige Farblosigkeit und Kontrastarmut der Bilder passt aber wiederum gut zum wenig abwechslungsreichen Alltag der Nana), entwickelt sich von der ersten Szene an eine dichte und sensible Charakterstudie. Catalina Saavedra ist grandios in der Rolle des eifersüchtigen Hausmädchens und wurde dafür auf Filmfestivals mehrfach als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Die Perfidität, mit der Raquel ihren häuslichen Psychokrieg ausficht, führt zu skurrilen Szenen von lakonischem Humor. Doch durch die verbiesterte Aggressivität und trampelige Körperlichkeit Raquels (Wie sie sich durch die Gänge ihres Reiches bewegt: ein angespannt trippelndes Stampfen eines angeschlagenen Boxers, der seinen Platz im Ring verteidigen will) hindurch ist in jedem Moment auch ihre Einsamkeit und Verzweiflung spürbar. Und wenn sie schließlich Joggen geht, hofft man mit ihr, dass sie auch noch weitere Schritte in Richtung eigenes Leben unternimmt.
Der junge chilenische Regisseur Sebastian Silva schafft in seinem zweiten Spielfilm ein berührendes menschliches Drama, für das er aus der eigenen Kindheit schöpfen konnte, denn auch er wuchs selbstverständlich mit einer Nana auf. Sein Film ist nicht nur das dramaturgisch ausgereifte Psychogramm (schön ist, wie sich der erzählerische Rahmen wieder mit einer Geburtstagsfeier schließt) eines einzelnen Hausmädchens, sondern zugleich eines gesellschaftlichen Phänomens, das in Lateinamerika zum Alltag gehört.

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© Kirsten Kieninger – in anderer Form zuerst erschienen in der RNZ vom 17.06.2010

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Preise und Auszeichnungen:

Gewinner des Sundance Film Festivals 2009, nominiert für den Golden Globe,
Gewinnerpreis für die Beste Darstellerin Biarritz Lateinamerika Filmfest 2009,
Gewinner Kritikerpreis und Preis für die Beste Darstellerin Cartegna Filmfestival 2009
FIPRESCI Preis Guadalajara Filmfestival 2009, Gewinner Havanna Filmfestival2009
Gewinner Huelva Filmfestival 2009, Beste Darstellerin Miami Filmfestival 2009
Gewinnerpreis für die Beste Darstellerin Turin Filmfestival 2009

Filmdaten:

Originaltitel: La Nana
Produktionsland: Mexiko, Chile
Produktionsjahr: 2009
Länge: 115min.
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 17.06.2010
Regie: Sebastián Silva
Drehbuch: Sebastián Silva, Pedro Peirano
Kamera: Sergio Armstrong
Montage: Danielle Fillios
Hauptdarsteller: Catalina Saavedra, Claudia Celedón, Alejandro Goic, Andrea García-Huidobro, Mariana Loyola

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