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Das Spiel mit Traum und Wirklichkeit (8)

in Alejandro Amenábars Film ABRE LOS OJOS

Alejandro Amenábar | ABRE LOS OJOS | Spanien 1997

Filmische Markierungsmöglichkeiten zum Wahrnehmbarmachen der Schnittstellen zwischen den verschiedenen Realitäten

Grundlegend gibt es zwei verschiedene Vorgehensweisen, wie eine andere Realitätsebene innerhalb eines Filmes hevorgehoben werden kann. Einerseits transtextuell an den Schnittstellen im Gefüge des Ganzen und andereseits intratextuell durch den Einsatz spezifischer filmischer Mittel innerhalb der Szene selbst. Natürlich können auch beide Strategien gekoppelt verwendet werden, um überdeutlich zu machen, wie die Dinge liegen.

Denn nicht nach jeder Aufnahme eines Schlafenden folgt ein Traum, in der Regel wird dies sehr wahrscheinlich sogar nicht der Fall sein. Und nicht immer sind klar erkennbare Abweichungen vom ‘realen’ Geschehen innerhalb einer Sequenz gegeben, die das Erkennen des Traumstatus dieser Sequenz ermöglichen.

Eine wichtige Rolle bei der Strategie der intratextuellen Markierung spielt also die Realitätsnorm: Der Hauptaspekt dabei ist, dass Sachverhalte gezeigt werden, die sich mit dem Realitätsanspruch des übrigen Films nicht vereinbaren lassen. Wenn also z.B. Gegenstände und Personen auftauchen, die es sonst nicht gibt oder der Protagonist plötzlich Fähigkeiten hat, die ausserhalb der Norm des Films liegen, ist die naheliegendste Erklärung für den Zuschauer die, dass auf der Leinwand ein Traum gezeigt wird.

Ausser der inhaltlichen Hinweise gibt es auch auf der formalen Ebene eine ganze Reihe filmische Mittel, um den imaginären Status innerhalb einer Filmsequenz zu unterstreichen, wie z.B. der Einsatz einer Randunschärfe, eines Weichzeichners, anderer Optik, anderen Filmmaterials und vieles mehr. Es ist unfruchtbar, hier nach stilistischen Mitteln zu fragen, weil eine komplette Liste kaum zu erstellen ist. Es gibt Darstellungen von Imaginationen in unzähligen technischen Umsetzungen – genausogut gibt es solche, die sich visuell überhaupt nicht vom ‘realen’ Rest des Films unterscheiden.

Der imaginäre Status einer Sequenz kann sich in einem solchen Fall transtextuell an den Übergangsstellen zwischen den ‘Wirklichkeitsstufen’ bemerkbar machen:

Im klassischen Hollywoodkino glichen sich häufig die cues für Rückblenden und Traum: track-in oder track-out auf eine Person, die von der Vergangenheit erzählt, kombiniert mit Musik (die oft genau dann einsetzt, wenn die Kamerabewegung beginnt) und eine Überblendung (wahlweise mit waberndem Welleneffekt). Dasselbe dann umgekehrt am Ende der Sequenzeinbettung. Auch hier gibt es unzählige filmische Lösungen, um ‘Transitions-Markierungen’ zu schaffen, die sich mit der Zeit gewandelt haben, bis hin zu dem Extrem, dass überhaupt keine über filmische Mittel wahrnehmbaren Markierungen mehr für den Zuschauer geschaffen werden. So erschliesst sich der Status einer Sequenz letztendlich nur aus dem narrativen Kontext, oder ist gar nicht mehr eindeutig zu entschlüsseln.

Vom einfach eingebetteten Traum bis zu komlexen Konstrukten: Kleine filmhistorische Phänomenologie

Die Entwicklung im Umgang mit ‘Wirklichkeitsstufen’ könnte man mit einer graduellen Verschärfung der Fragen, mit denen der Zuschauer konfrontiert wird, beschreiben. Ein Streifzug durch die Filmgeschichte zeigt, dass die Bestimmung des Filmtraumes als eine

„Sequenzeinbettung, in der durch eine intentionale Klammer das Eingebettete an den Einbettungskontext rückgebunden ist“ (( vgl. Teil (6) Film und Traum ))

nicht in jedem Fall gültig ist. Früher in der Regel eher noch als heute. Doch gab es auch schon vor über einem halben Jahrhundert prominente Ausnahmen:

„…we can see in Laura an example of a film in which one daring device dictates and deforms the overall structures of the film.“ (( THOMPSON Kristin (1988): Breaking the Glass Armor: Neoformalist Film Analysis, Princeton, New Jersey: Princeton University Press: 1988 – S.168 ))

Der ‘gewagte Einfall’ auf den sich Kristin Thompson hier bezieht, ist im Fall von Otto Premingers Laura ein Filmtraum, der eben nicht intentional eingebunden und durch einen Rahmen abgebunden ist, da sich die ganze zweite Hälfte des Films in diesem Filmtraum abzuspielen scheint… (( In Laura (1944) von Otto Preminger gibt es einen zweideutigen Hinweis auf eine beginnende Traumsequenz: Nach der ersten Hälfte des Films nickt der Protagonist ein, ab diesem Punkt taucht Laura, die der Zuschauer bis dahin für tot gehalten hatte, wieder lebendig im Film auf. Da die schliessende Klammer (der Protagonist wacht schließlich wieder auf) fehlt, ist das Ende des Films nicht schlüssig – lebt Laura wirklich, oder schliesst der Film innerhalb seiner Traumvorstellungen? )) Für einen Hollywoodfilm der 40er Jahre war dies gewagt, und genauso wie Hitchcocks berühmte und berüchtigte ‘lügende Rückblende’ in Stage Fright (dt.: Die Rote Lola) eher eine Ausnahme von der Regel. Laura und Stage Fright testeten zu ihrer Zeit die Grenzen der klassischen Hollywood Konventionen aus. (( für detailierte Analysen beider Filme unter diesem Aspekt siehe THOMPSON Kristin (1988): Breaking the Glass Armor: Neoformalist Film Analysis, Princeton, New Jersey: Princeton University Press: 1988 – S.135ff )) Anhand beider Beispiele lässt sich sehr gut aufzeigen, inwiefern Sehgewohnheiten und Genre-Erwartungen, die die Zuschauer mit ins Kino bringen, auch die Wahrnehmung von Filmen beeinflussen, die diese Konventionen mit einem kleinen Kunstgriff unterlaufen. (( mehr dazu in Teil (10) Die Schwierigkeiten des klassischen Hollywoodkinos ))

Einen grossen Anteil an der Etablierung von Sehgewohnheiten haben die Filme in der klassischen Hollywood-Tradition:

„Part of the classical cinema’s strengh lies in its ability to provide us with a comfortable set of viewing procedures. These are built by viewings of many films, the majority of which utilize the classical approach. In most such films, we have few doubts about what we shall see or what viewing skills to apply. Indeed, most viewers see such a large percentage of Hollywood-style films that they may have few other viewing skills; hence there has been a tendency to lump together all other films, however varied, into the broad categories of „art“ films or „experimental“ films.“ (( THOMPSON Kristin (1988): Breaking the Glass Armor: Neoformalist Film Analysis, Princeton, New Jersey: Princeton University Press: 1988 – S.251 ))

Konventionen ändern sich mit der Zeit: alte Regeln werden spielerisch gebrochen, neue Sehgewohnheiten etablieren sich. In dieser Hinsicht tat sich sehr viel im europäischen Kino der 60er Jahre. Zu dieser Zeit wurden viele Spielräume eröffnet, die heute ganz selbstverständlich genutzt werden. Der folgende Teil gibt einen – auf einige Schwerpunkte konzentrierten – Überblick dieses filmischen Umgangs mit verschiedenen ‘Wirklichkeitsstufen’ seit den Anfängen des Kinos bis heute.

Die Publikation des gesamten Textes gibt es hier zum PDF Download >

 

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