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Das Spiel mit Traum und Wirklichkeit (22)

in Alejandro Amenábars Film ABRE LOS OJOS

Alejandr Amenábar | ABRE LOS OJOS | Spanien 1997

 

Fazit: Amenábars Spiel mit Wahrnehmung in Abre los ojos

Abre los Ojos ist ein Thriller, der konsequent das Fundament unserer Existenz in Frage stellt: was ist real und was nicht?

Letztendlich besteht der thrill von Abre los ojos allerdings darin, dass das, was kunstvoll wie ein zwar sehr komplizierter, aber doch konventioneller Thriller gestrickt ist, sich am Ende in nichts anderes auffasert als einen Traum, der eingebettet ist in eine zukünftige Szenerie, die der Zuschauer nie zu Gesicht bekommt. (( auf www.plus.es/codigo/amenabar/curio.asp ist zu entdecken, dass es in einer frühen Drehbuchversion eine Sequenz gab, in der ein Raum mit Menschen in cryonisiertem Zustand zu sehen sein sollte:„En un guión inicial de Abre los ojos existá una secuencia en la que se monstraba una sala llena gente en estado de crionización. Los bocetos descarrollados para ese momento, finalmente borrado de guión, son estos:“ – sogar Kostümentwürfe gab es schon dafür, eine Skizze ist abgebildet:„Dibujos para una sequencia finalmente elliminada de Abre los ojos“ ))

Im Endeffekt ist Abre los Ojos ein Film, der nur an einem Schauplatz spielt, einem Schauplatz, den wir nicht sehen können: Im Bewusstsein der Hauptfigur. Denn eines macht der Film unmissverständlich klar: Es ist Césars Traum.

Amenábars Kunstgriff ist, dass dieser Traum nicht im visuellen Traummodus, sondern im „klassischen“ Film-Narrationsmodus entwickelt wird. Zwar ist der ganze Film vom ersten bis zum letzten Bild ein Traum, doch als solcher ist er doch eine in sich geschlossene und schlüssige Filmerzählung. Amenábar spielt mit allen Versatzstücken, aus denen Träume gewoben sind und liefert damit sogar indirekt so etwas wie eine Tagesrealität des Träumenden, die – obwohl im Traum – der Narration wegen gar nicht metaphorisch verdichtet oder verschoben daherkommt. Der Traummodus müsste uns eher einen nicht stringenten Bilderstrom à la Un Chien andalou präsentieren. Das wäre über 117 Filmminuten ohne fesselnde Dramaturgie recht ermüdend. Stattdessen gibt sich Abre los ojos wie ein Thriller: die Geschichte eines Mannes, der sich unter Mordanklage in der Psychiatrie wiederfindet, sein Gesicht hinter einer Maske verbirgt und versucht, aus dieser Situation und seinen Erinnerungen einen Sinn zu machen. Und diesen Sinn mit-machen wollen, ist auch das Spiel, das den Zuschauer 117 Minuten hellwach hält.

Doch Filme, die ihren Reiz daraus beziehen, dass der Zuschauer sich währenddessen und hinterher den Kopf darüber zerbricht, wie das Gesehene letztendlich wirklich Sinn macht, spielen auch ein gefährliches Spiel. Ein solcher Film ist nur gut, wenn die Narration fair ist. Denn einen wichtigen Part in dem Spiel hat der Zuschauer: Er vertraut dem Regisseur als Spielleiter des Spiels mit Traum und Wirklichkeit, der die Regeln definiert und anwendet. Der Zuschauer kann sich dann entweder einen Reim drauf machen, sich verarscht fühlen, oder gar ein intellektuelles Vergnügen dabei empfindet, das Bilderrätsel zu lösen und die Mechanismen zu durchschauen. Im Idealfall ist er ein Zuschauer, der nicht nur puzzled ist, sondern sich mit offenen Augen in das Puzzle-Spiel mit den verschiedenen Realitätsfragmenten einweisen lässt und mit kombiniert.

Als Zuschauer stehen wir mit jeder neuen Szene, die wir sehen, vor der Aufgabe, sie inhaltlich sinnvoll einzupassen in die fragile Struktur, die wir in unserem Kopf zusammenbauen, während der Film vor unseren Augen abläuft. Eine neue Szene, ein neues Bild ist immer ein Realitätssplitter – von welcher Realität auch immer. Wenn dieser neue Realitätssplitter in ein bestehendes Bild eingepasst werden müsste, wäre das noch die leichteste Aufgabe, wir müssen jedoch versuchen, ihn in das sich entwickelnde Mosaikbild aus unzähligen solcher Fragmente, das der Film gerade erst vor unseren Augen entwirft, provisorisch einzupassen. Provisorisch, denn es könnte ja sein, das der nächste Realitätssplitter genau diesen Platz im Gesamtbild für sich einzufordern scheint.

Der Zuschauer hat viel zu leisten: Bei diskontinuierlicher Erzählweise ist es oft schon schwierig genug, sich die richtige Chronologie der Ereignisse zu erschliessen. Wenn aber manches auch noch erträumt oder Wahnverstellung der Hauptfigur ist?

Das Gesamtbild zu erahnen ist dem Zuschauer in jedem Fall also nur provisorisch möglich. Er nimmt eine Realität für die feste unverschiebbare, auf der die Tatsachen der Filmerzählung fußen. Von dieser Warte aus interpretiert er den Rest; versucht, aus dem Rahmen fallende Szenen in das sich sich eben erst entwickelnde filigrane Raster einzupassen. Doch was ist, wenn das Raster falsch gewählt ist? Wenn der vermeintliche Bezugspunkt aller Realitätsfragmente der falsche ist? Dann muss der Zuschauer irgendwo im Film umdenken: Was ist Raster, was ist Rahmen? Was ist Vorder- , was Hintergrund? (( vgl. das Vexierspiel das Jacob’s Ladder und The Others diesbezüglich darstellten ))

Amenábar spielt in Abre los ojos dieses Spiel mit Ebenen und Bezugspunkten fair von der ersten bis zur letzten Minute. Zwar zieht er dem Zuschauer am Ende den Boden unter den Füßen weg, doch hat er von Anfang an nie behauptet, dass es einen solchen überhaupt gibt. Im Gegenteil: er hat eine Vielzahl von Verweisen eingebaut, die den Zuschauer stutzig machen sollten. So ist im Endeffekt innerhalb der Narration zwar jeder Übergang für sich klar als Wechsel von ‘Wirklichkeitstufen’ markiert, letztendlich gibt es jedoch keinen festen Grund mehr, von dem her der Film erzählt ist: Der rote Faden, der von der Psychatriesituation her aufgewickelt wird, entpuppt sich durch die finale ‘Erklärung’ letztendlich als im Gehirn der Hautfigur zusammengesponnen.

Die nächste logische Schlussfolgerung ist also, dass der ganze Film ein Traum von César ist.  Denn der Film endet, wie er angefangen hat: Über schwarzer Leinwand mahnt eine Stimme: „Öffne die Augen!“. Insofern hat die Filmerzählung einen umschliessenden Rahmen. Und dieser Rahmen, der den eigentlichen Erzählstandpunkt des Films darstellt, wird konsequenterweise ausserhalb des Bildfeldes gehalten.

Was dabei der Phantasie des Betrachters überlassen wird, ist die Entscheidung, entweder die Science-Fiction-Wendung mitzuvollziehen und demnach als Erzählstandpunkt des Films ein Gehirn zu akzeptieren, das 150 Jahre eingefroren war und jetzt einen teuer bezahlten, schlecht funktionierenden Klartraum träumt; oder aber einfach davon auszugehen, dass als Rahmen der Filmerzählung, der im Dunkel verschwindet, César lebendig in seinem Bett liegt und nur gerade verdammt schlecht träumt – wie sein Gesicht dabei auch immer aussehen mag…

César: …„Denken Sie nicht weiter darüber nach, sonst werden Sie noch verrückt!“

Die Publikation des gesamten Textes gibt es hier zum PDF Download >

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