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Das Spiel mit Traum und Wirklichkeit (10)

in Alejandro Amenábars Film ABRE LOS OJOS

Alfred Hitchcock | STAGE FRIGHT – DIE ROTE LOLA | USA 1950

Die Schwierigkeiten des klassischen Hollywoodkinos mit den Realitäten

Das klassische narrative Hollywoodkino schöpft nicht aus der strukturellen Analogie von Traum und Film, sondern will vor allem Geschichten erzählen, wenn möglich mit happy end. Doch auch in diesen konventionell erzählten Filmen finden sich oft Passagen anderer ‘Wirklichkeitsstufen’. Diese sind jedoch immer formal als solche gekennzeichnet. (( siehe Teil (8) Filmische Markierungsmöglichkeiten zum Wahrnehmbarmachen der Schnittstellen zwischen den verschiedenen Realitäten )) Alfred Hitchcock wagte früh in Stage Fright eine Ausnahme von der Regel, die er jedoch bald bereute:

„Wissen Sie, ich habe mir bei dieser Geschichte etwas erlaubt, was ich nie hätte machen dürfen: eine Rückblende, die eine Lüge war. (…) In Filmen nehmen wir es immer hin, wenn einer beim Erzählen einer Geschichte lügt. Wir nehmen es auch hin, wenn jemand eine vergangene Geschichte erzählt und die durch eine Rückblende illustriert wird, als ob sie sich in der Gegenwart abspielte. Weshalb also sollte man eigentlich nicht in einer Rückblende auch eine Lüge erzählen können?“ (( Alfred Hitchcock über Stage Fright in TRUFFAUT François (1966): Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, München: Heyne Verlag 1989 – S. 185 ))

Denn in einer Rückblende eine Lüge zu erzählen ist eine ganz einfache Übung, besonders auch, weil das Publikum so vertrauensselig ist. Wenn dieses Vertrauen aber unangekündigt gebrochen wird, reagiert das Publikum genauso unsolidarisch, wie es sich behandelt fühlt und stellt die Qualität des gesamten Films in Frage. So ist es auch Hitchcocks Stage Fright in der Publikumsgunst gegangen.

„The failure of Stage Fright, Hitchcock suggested, derived largely from his failure to keep his side of an implicit compact with cinema audiences – that, unless explicitly told otherwise, it is safe for them to trust the evidence of their eyes.“ (( SUTCLIFFE Thomas (2000): Watching. Reflections on the Movies, London: Faber and Faber Limited 2000 – S.xii ))

Der Zuschauer erwartet, dass die Narration ein faires Spiel mit ihm treibt. Mitgebrachte Erwartungen spielen eine große Rolle bei der Bereitschaft des Zuschauers, überraschende Wendungen zu akzeptieren. Im Falle von Stage Fright erwartete das Publikum, eine straight erzählte Kriminalgeschichte serviert zu bekommen. Und in einem solchen Fall will der Zuschauer beim Miträtseln, wer der Mörder ist, seinen Augen trauen können. D.h. die Erwartungen, die der Zuschauer an einen Film hat, sind jeweils vom Genre abhängig.

„Stage fright undoubtedly has raised so much controversy because its lying flashback flaunted conventions in an extreme fashion and seemed to violate the expectations associated with its genre.“ (( THOMPSON Kristin (1988): Breaking the Glass Armor: Neoformalist Film Analysis, Princeton, New Jersey: Princeton University Press: 1988 – S.141 ))

Und die Erwartungen, die das Publikum bei einem Hollywoodfilm von Alfred Hitchcock hat, sind Genre-gemäß andere, als bei einem Autorenfilm des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa. Ein Beispiel für einen Film, der gänzlich aus ‘lügenden’ Rückblenden besteht und trotzdem den Zuschauer nicht betrügt, ist Rashomon (1950). Darin wird dieselbe Begebenheit von vier Personen unterschiedlich geschildert und ist in vier entsprechenden Varianten zu sehen. Eingebettet sind diese Rückblenden in eine Gesprächssituation, in der die Subjektivität der Wahrheit thematisiert wird. Das heißt, dem Experiment der sich widersprechenden subjektiven Rückblenden wurde ein erklärender Bezugsrahmen gegeben, der das Ganze zu einer exemplarischen philosophischen Reflexion macht. Da die Narration im Dialog explizit auf diese philosophische Metaebene verweist, spielt sie letztendlich immer fair, indem sie ihren Mechanismus offenlegt.

Die Publikation des gesamten Textes gibt es hier zum PDF Download >

 

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