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| genau geschaut | DON’T LOOK NOW

Analyse der Anfangssequenz von Nicolas Roegs „Wenn die Gondeln Trauer tragen“

Nicholas Roeg | DON’T LOOK NOW | England, Italien 1973

Der britische Regisseur Nicolas Roeg hat ein Markenzeichen: In seinen Filmen finden sich mit Vorliebe Montagesequenzen, die zwischen Zeitebenen alternieren. Er hat einen ganz eigenen Stil entwickelt, mit flashbacks und flashforwards umzugehen, an dem man seine Filme erkennt. Die Schnittmeister wechseln (( Antony Gibbs, Graeme Clifford, Tony Lawson u.a. )), die Handschrift bleibt: sei es  Walkabout oder The Man Who Fell To Earth, Castaway – Die Insel oder Track 29. In den späteren Filmen wirkt dieser Roeg’sche Kunstgriff allerdings manchmal wie eine manieristisch reproduzierte Formel – doch sie funktioniert.

Zwar machen einige filmische Stilmittel in Don’t look now augenscheinlich, dass der Film aus den 70er Jahren stammt. Doch mögen auch die häufigen, damals hippen, hektischen Kamera-Zooms und so mancher „moderner“ Soundeffekt auf der Tonspur heute ein wenig dated anmuten, der Film hat doch nichts von seiner verstörenden Kraft eingebüßt, was nicht zuletzt seiner suggestiven Montage zu verdanken ist. Immer wieder gerne beschrieben und (auch filmisch) zitiert wird die Liebesszene in Venedig zwischen Julie Christie und Donald Sutherland. Der Liebesakt und das Ankleiden danach werden dort durch Cross-cutting konsequent eng (und durch-) geführt. Doch um diese soll es hier nicht gehen. (( bei Interesse: einen schönen Artikel darüber gibt es im Magazin Schnitt Nr. 38 („Die Sahneschnitte“), online gibt es eine kleine, formal analysierende Beschreibung ))

Hier geht es um die Anfangs-Sequenz desselben Films. (( der folgende Text geht davon aus, dass der Leser den Film kennt. Falls nicht, hier gibt es die DVD von Wenn die Gondeln Trauer tragen
)) In diesen ersten Minuten verbinden sich nicht unterschiedliche Zeiten, sondern es werden auf virtuose Weise verschiedene Räume filmisch verbunden. 7 Film-Minuten, bei denen es sich lohnt, Schnitt für Schnitt genau hinzusehen und herauszufinden, warum dies in der Gesamtheit so gut funktioniert. Die Eröffnungs-Sequenz des Films (( Kurzfassung des Plots: Nach dem tragischen Tod ihrer kleinen Tochter Christine zuhause in England reisen Laura und Ann Baxter nach Venedig. Schließlich stirbt dort auch John, der seinen Visionen und Vorahnungen, die ihn hätten warnen können, keinen Glauben schenkt. Ohne dass der Zuschauer es zunächst bewusst wahrnehmen würde, enthält die Eröffnungs-Sequenz des Films außer der für eine Exposition relevanten Informationen auch schon alle Elemente dieses unbewussten, übernatürlichen Laufs der Ereignisse. ))  habe ich zur detaillierten Analyse in drei Abschnitte gegliedert:

  1. Abschnitt: Etablierung der beiden Handlungsorte, Etablierung der Haupt-Personen, erste Verbindungen der beiden räumlich getrennten Handlungen
  2. Abschnitt: Verdichtung der Handlungsverbindungen, Verkürzung der Sequenz-1 wechsel von außen nach innen
  3. Abschnitt: Irreale Handlungsverbindungen (Dia), extreme Verlangsamung der Darstellung der Geschehnisse (bei der Bergung der Leiche). Am Ende dieses Abschnittes befinden sich alle Personen in einem Raum (außen), die Handlungstrennung ist aufgehoben.

Das Hauptaugenmerk der Analyse dieses Filmausschnitts (Anfangs-Sequenz) gilt der besonderen Erzählweise: Nicolas Roeg verbindet zwei parallel laufende, aber räumlich voneinander getrennte Handlungen und führt Baxters Vorahnungen ein, mit Hilfe verschiedenster filmischer und kompositorischer Elemente. Ein weiteres wichtiges Element der Handlungsverbindung ist der Zeitfaktor: Roeg beginnt mit langen Sequenzen außen/innen, die sich mit der zunehmenden Handlungsverknüpfung verkürzen. Die Sprünge von einem Handlungsort zum anderen werden schneller bis zum Höhepunkt, an dem sie sich wieder verlangsamen. Durch die Vervielfältigung wichtiger Elemente (der Ball im Wasser, die Spiegelungen im Wasser, das Dia) werden diese zu wichtigen Handlungsträgern.

1. Abschnitt:

außen: Non-diegetische Musik, kein Dialog. Die beiden Hauptpersonen der Außenhandlung werden eingeführt, der Handlungsort beschrieben.

Ein Mädchen im roten Regenmantel, das mit einem rot-weißen Ball spielt und ein Junge, der Fahrrad fährt. Der Ball fällt das erste Mal ins Wasser. Die Kamera zeigt ein Haus von außen und etabliert damit den zweiten Handlungsort. Die Sequenz endet mit einem Zoom auf das Mädchen im roten Regenmantel und dessen Spiegelung im Wasser. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird bereits hier auf das Wasser gelenkt. Das Leuchten des roten Mantels in der Wasserspiegelung wird in seiner optischen Ähnlichkeit zum flackernden Kaminfeuer als Transition zur folgenden Sequenz genutzt.

innen: Schnitt auf eine Naheinstellung des Kaminfeuers, Zoom weg vom Feuer auf den Raum. Die beiden Personen der Innenhandlung werden gezeigt.

Die Hypothese, daß sich die Handlung in dem vorher gezeigten Haus abspielt, wird sofort akzeptiert. Der Dialog der beiden Personen (die Eltern der Kinder draußen) handelt von Wasser. John Baxter betrachtet sich Dias. Ein Dia (auf dem Baxter in einer Kirchenbank eine Gestalt in Rot entdeckt) rückt Roeg über Aktionen der Schauspieler, Kameraeinstellungen und Schnitte geschickt in den Mittelpunkt und etabliert es so als Handlungsträger:

  1. drei Mal ein ähnliches Dia auf der Leinwand
  2. Herausnehmen aus dem Projektor
  3. Legen auf den Leuchttisch ( Heranspringen der Kameraeinstellung auf die rote Gestalt zu)
  4. Blick durch die Lupe ( Schwenk auf die Gestalt)
  5. Drehen des Dias auf dem Leuchttisch (Rote Gestalt per Hand in die Bildmitte gerückt )
  6. Heranzoomen auf die rote Gestalt

Die Transition zur Außenhandlung funktioniert an dieser Stelle wieder über die Gestaltähnlichkeit.

außen: Schnitt von der roten Gestalt auf dem Dia zur Spiegelung des Mädchens mit dem roten Regenmantel im Wasser. Das Verbindungselement ist hier die Farbe. Die Aufnahme der Spiegelung stellt die Bedeutung des Wassers erneut in den Vordergrund. Eine kurze non-diegetische Tonfolge, die innen beginnt und außen endet, evoziert auf suggestiver Ebene einen Zusammenhang.

Verbindung zwischen außen und innen: Der Junge fährt über Glasscherben und fällt. Im Moment des Fallens wird nach innen auf den Vater geschnitten, der eine Geste des Aufhorchens macht. Die Wirkung auf den Betrachter ist, als ob der Vater in einer Art Vision die Außenhandlung beobachtet. Das verbindende Element ist die Geste in Kombination mit dem Blick. In dieser vierten Sequenz greift sich die Mutter an den Mund. Insert: Das Mädchen draußen wiederholt die Geste der Mutter.

Der Vater starrt auf einen fiktiven Punkt im Raum. Verbindung zwischen innen und außen: Durch den Umschnitt auf die Handlung außen scheint es, als würde der Vater die Szene draußen in einer Art Vision sehen, wo der Junge in die Ferne auf das Mädchen blickt.

2. Abschnitt:

Durch den ständigen Wechsel zwischen den beiden Handlungsräumen (außen/innen), der durch Blicke, Ähnlichkeiten oder Gesten geschaffen/motiviert wird, ist für den Zuschauer die Existenz zweier Handlungsräume inzwischen so vertraut, dass auch unvermittelte Schnitte den Zusammenhang nicht mehr aufbrechen. So wird nun ohne Überleitung von außen wieder nach innen auf den Vater geschnitten. Dieser greift nach einer Packung Zigaretten und unvermittelt wird nach außen auf das Mädchen geschnitten, das gerade den Ball loswirft.

Bewegungsschnitt nach innen: Dort wirft der Vater in diesem Moment der Mutter die Zigaretten zu. Schnitt nach außen: Großaufnahme des Balls, der ins Wasser fällt, begleitet vom Geräusch eines – Schnitt nach innen – Glases, das auf dem Tisch des Vaters umfällt. Es folgt wieder ein Schnitt nach außen, wo man in einer Großaufnahme den Ball auf dem Wasser treiben sieht.

Diese Montage bringt die „Interaktion“ zwischen innen und außen zu einem Höhepunkt. Durch Bewegungsschnitte werden die Aktionen, die draußen stattfinden, innen quasi fortgesetzt. Aus zwei Räumen scheint durch die Schnittfolge ein einziger Handlungsraum zu werden. Das Tempo der Abfolge der Schnitte steigert sich, die einzelnen Einstellungen werden immer kürzer, bis zu dem Punkt, an dem das Geräusch des umfallenden Glases auf dem Bild des fallenden Balls zu hören ist. Dadurch scheinen die Aktionen, die an den beiden gleichzeitig existierenden Handlungsorten stattfinden, auch zeitlich tatsächlich gleichzeitig abzulaufen.

3. Abschnitt:

Von diesem Punkt an verlangsamt sich das Schnitt-Tempo wieder. Man sieht den Ball auf dem Wasser zur Ruhe kommen. Darauf wird auf den Jungen geschnitten, der sein Fahrrad flickt. Es folgt ein Schnitt nach innen, wo der Vater sich in einer ähnlichen Bewegung über die Lupe beugt – Schnitt auf das Dia:

Dort verläuft wegen des umgekippten Wasserglases die Farbe der roten Gestalt quer über das Dia. Schnitt auf den Vater, der vorahnungsvoll hochblickt. Der Effekt, dass diese Vorahnung wohl mit dem Dia in Zusammenhang steht, wird dadurch unterstützt, dass das Gesicht des Vaters von rotem Licht angestrahlt erscheint. Hier folgt wieder ein Schnitt nach außen, wo man den Jungen rennen sieht. Der Junge ruft: „Vati – schnell -komm!“ Die Dringlichkeit dieses Hilferufs wird durch Umschnitte, die genau auf jedes einzelne Wort fallen, betont. Der Vater stürzt aus dem Haus, um seine Vorahnung bestätigt zu finden: Wie die Einstellung des auf dem Wasser sich austrudelnden Balls metonymisch andeutete, ist seine Tochter tatsächlich im Teich ertrunken.

Die Sequenz, in der man John mit ihr in den Armen aus dem Wasser kommen sieht, ist in drei Schnitten zusammengesetzt: Zuerst taucht er aus dem Wasser, wirft seinen Kopf zurück und beginnt zu schreien. Plötzlich wird zurückgeschnitten auf ihn, wie er noch immer erst auftaucht – ein Teil der vorhergehenden Einstellung wird einfach wiederholt. Der zweite Teil endet, wie er seinen Kopf zurückwirft. Der dritte Teil beginnt, wie John gerade anfängt seinen Kopf zurückzuwerfen – wiederum wird ein Teil der vorherigen Einstellung wiederholt. Zusätzlich zu diesem, die Ereignisse künstlich dehnenden Schnitt, ist diese Sequenz in Zeitlupe gefilmt. Auch der Ton ist nicht synchron: Wenn John schreit, setzt der Ton nicht sofort ein und in der Wiederholung bleibt der Schrei ganz stumm. Die nicht-diegetische Musik und ein dumpfes Grollen unterstreichen genauso wie das Licht, das das Wasser plötzlich dunkel wie die Nacht wirken lässt, das alptraumhafte der Geschehnisse. Auch dadurch, dass alle Geschehnisse bis dahin fast in Echtzeit dargestellt scheinen, wirkt diese Rettungs-Szene um so alptraumhafter.

Was sich dort gerade Schreckliches ereignet hat, nimmt die Mutter erst wahr, als sie ihren Mann mit der toten Tochter auf dem Arm näherkommen sieht. Ihre Wahrnehmung der Ereignisse wird künstlich herausgezögert: Der Weg der Frau hinter den Fenstern des Hauses wird durch Zwischenschnitte auf die zeitgleichen Handlungen ihres Mannes unterbrochen und jeder Schnitt auf sie zurück knüpft genau wieder dort an, wo er sie verlassen hat, so als ob keine Zeit vergangen wäre. Der Effekt ist, dass es scheinbar (für den Zuschauer) unerträglich lange zu dauern scheint, bis sie bemerkt, was geschehen ist und ihr Entsetzen sich in einem Schrei entlädt, der bis in die nächste Szene und damit in den neuen Ort der Handlung hereinreicht. Roeg schneidet unmittelbar um auf die Nahaufnahme eines Presslufthammers, in dessen Geräusch der Schrei überblendet. Was bleibt, ist keine Zeit um Luft zu holen, sondern der Schock der Ereignisse und das Nachhängen der unheimlichen Atmosphäre, die Roeg in der Eröffnungs-Sequenz aufgebaut hat.

© Kirsten Kieninger – schon 1996 habe ich mir den Filmanfang so genau angeschaut, aus diesem Jahr stammt auch der Hauptteil des Textes. Die Bilder zur Illustration gehören zu folgendem Flickr-Stream – Mein Dank gilt daher Dan North, der sich die Mühe des Frame-Grabbing gemacht hat!

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