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Sag beim Abschied leise „Film ab“ – Das 68. IFFMH 2019

28 Jahre sind eine lange Zeit. Länger stand die Berliner Mauer auch nicht – und ebenso viele Jahre hat Dr. Michael Kötz das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg geleitet. Mit seiner Eröffnungsrede heute Abend wird also auch das Ende einer Ära in der lokalen Festival-Landschaft eingeläutet. Aber das ist kein Grund für Sentimentalitäten: „Genießen Sie die 68. Ausgabe, die letzte unter unserer Regie!“ empfiehlt der aus dem Amt scheidende Festivaldirektor in der Programmbroschüre. Außerdem ist er nach dem Festival nicht aus der Welt, sondern nur in Ludwigshafen – das „Festival des deutschen Films“ dort wird weiterhin unter seiner Leitung stattfinden.

Doch aktuell spielt die Filmmusik diesseits des Rheins: offiziell eröffnet wird heute um 19 Uhr in den Kino-Zelten auf dem Heidelberger Messplatz mit der Galavorführung des japanischen Films Under the Turquoise Sky. „Regisseur Kentaro erzählt eine uralte Kinogeschichte über die Liebe und das Leben, aber wie er sie erzählt, das ist großartig“ freut sich Kötz und wird zusätzlich zu den zahlreichen Ehrengästen eine große Film-Delegation aus Japan und der Mongolei begrüßen dürfen, die den Reigen der über 100 internationalen Gäste aus 38 Ländern eröffnet, die sich mit ihren Filmen dem Publikum auf der Leinwand und in Filmgesprächen präsentieren werden.

Insgesamt 57 Filme stehen in den kommenden 10 Festival-Tagen in Heidelberg und Mannheim auf dem Programm. Da hat das Publikum ordentlich was zu tun, denn diesmal gibt es außer der FIPRESCI-Jury der internationalen Filmkritik und der Ökumenischen Jury keine Fachjuries. Die drei Hauptpreise des Festivals darf das Publikum per Abstimmung ermitteln, die Preisverleihung findet am 23. November im Rahmen eines Dinners für geladene Gäste statt. Öffentlich werden die drei Siegerfilme am Sonntag, den 24. November im Stadthaus N1 in Mannheim bei freiem Eintritt zu sehen sein. Dort gibt es zum Finale „und als Dank an unser Publikum“ dann alle Getränke zum halben Preis.

Aber vorher hat das Publikum die Qual der Wahl: Alle 18 Anwärter auf den Grand Newcomer Award und den Talent Award anschauen, oder die 18 anderen Filme, die für den Special Award in Frage kommen, damit man einen Überblick bekommt? Beherzt querbeet durch alle Länder und Genres streunen? Was ist eigentlich das besondere an den Sondervorführungen? Die Kinderfilme getrost ignorieren, wenn man keine Kinder hat?

Die Filmperlen finden sich verstreut im ganzen Programm. Zum Beispiel der Dokumentarfilm Die Götter von Molenbeek, der von der Freundschaft zwischen Aatos aus Finnland und Amine aus Marokko erzählt. Die beiden 6-Jährigen leben in Brüssels Stadtteil Molenbeek, der als Hochburg gewaltbereiter Islamisten gilt. Und tatsächlich brechen die Terroranschläge vom März 2016 in den Alltag der beiden Jungen hinein – erlebt aus kindlicher Perspektive, wenn etwa die Maschinengewehre der Soldaten, die in der Stadt patrouillieren, genau auf Aatos Augenhöhe hängen. Ein warmherziger, fantasievoller und formal konsequenter Film über eine Kinderfreundschaft in unruhigen Zeiten, der sich in der Reihe Kinderfilmfest „versteckt“. In den Sondervorführungen gibt es Land des Honigs zu entdecken. Eine dokumentarische Parabel über ökonomische Ausbeutung und Menschlichkeit von archaischer Wucht, die aber am 21.11. sowieso einen Heidelberger Kinostart hat. Holding Positions der gebürtigen Heidelberger Regisseurin Laura Mahlberg dagegen läuft als Weltpremiere im Wettbewerb, ohne dass sich bisher ein Kinostart ankündigt. Und Blue Hour aus Japan, der um den Special Award konkurriert, verspricht ein entschleunigtes kleines, sehr sehenswertes Familiendrama zu sein, das entdeckt werden will.

Die Sondervorführungen bieten außerdem Life As It Is: Miloš Forman on Milos Forman von Filmpublizist Robert Fischer, der auch ein ausgemachter Truffaut-Experte ist. Damit schließt sich ein großer Bogen, der weit in die Tradition des Festivals reicht: Vor genau 60 Jahren wurde der Kurzfilm Les Mistons von François Truffaut, den dieser einmal als seinen „ersten echten Film“ bezeichnete, mit einer Filmdukat ausgezeichnet. Damals war das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg noch die Mannheimer Kultur- und Dokumentarfilmwoche. Heidelberg ist seit 1994 mit dabei und Dr. Michael Kötz seitdem mit den Kino-Zelten durch die halbe Stadt und den Schlossgarten gezogen. Dieses Kinozelt-Nomaden-Dasein in Heidelberg hat für ihn am 24. November ein Ende. Während er sich dann im August 2020 auf seine Filmfestival-Sommerweide am Ludwigshafener Rheinufer begibt, steht schon Dr. Sascha Keilholz in den Startlöchern, um im Herbst 2020 die 69. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg mit neuen Ideen zu stemmen. Doch zunächst heißt es nun bei der 68. Festivalausgabe 10 Tage lang „Film ab!“.

[Kirsten Kieninger, Print-Artikel erschienen in der RNZ vom 14.11.2019]

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