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INTERVIEW: Florian Opitz [Teil 2]

Ein Dokumentarfilm-Regisseur auf der Suche nach der verlorenen Zeit

< zum 1. Teil des Interviews

Muss sich das selbst beschleunigende System erst totlaufen, bevor es eine Lösung gibt?

Der nächste Film, den ich machen will, schließt genau da an. Weil ich ja auch so großspurig sage: Wir müssen endlich nachdenken, wir müssen diesen Alternativen eine Chance geben. Um genau diese Alternativen soll es im nächsten Film gehen. Was ist – wie z.B. das bedingungslose Grundeinkommen – schon gedacht worden? Welche Varianten und politischen Lösungen gibt es noch? Auch nochmal eine Analyse dieses Wachstumssystems – „Postwachstumsgesellschaft“. Woran krankt dieses System? Auf die Gefahr hin, dass es vielleicht talking heads wird. Denn es gibt ja nicht diese vielen tollen Utopias, die man einfach porträtieren könnte und wo man sagen könnte: Da ist schon was, lasst uns doch gleich morgen damit anfangen.

Ich will mich nicht damit abfinden, einfach zu sagen, dass diese Gesellschaft eben so ist, wie sie ist und weiter beschleunigt wird – das haben wir haben ja nun gesehen, nach der Krise: „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“. „Diese Politik ist alternativlos“ ist, glaube ich, der Lieblingssatz von Angela Merkel. Mit dem will ich mit nicht abfinden. Dazu habe ich meine Kinder zu gern. Klingt kitschig, ist aber eine Antriebskraft.

Und da ist auch dieser Glaube an Aufklärung. Dass du mit den Filmen doch etwas erreichen kannst, wenn auch nur bei ein paar wenigen Leuten. Dass du dieses ganze Politische wieder greifbarer machen kannst, verständlich machen kannst. Das ist mit dem letzten Film sehr gut gelungen. Und ich hoffe, mit diesem wird es auch so sein: „Der große Ausverkauf“ hatte ein ein jahrelanges Leben nach der Fertigstellung, wurde immer wieder gezeigt und die Kinos sind bei Sonderveranstaltungen voll gewesen. Und die Leute haben gesagt: Ah, das ist also Privatisierung und das ist falsch daran.

Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit trifft doch jetzt auch genau einen Nerv.

Ich hatte schon Angst, dass es jetzt schon ein bisschen zu spät ist. Dass viele der Themen – der Film liegt ja schon ein Jahr, gedreht wurde 2009/10 – dass viele der Themen schon durch sind. Gerade das Burn-Out ist ja hoch und runter dekliniert worden in allen Medien. Die Themen sind mehr in den Mainstream gerückt. Aber ich glaube, es betrifft jetzt nicht weniger Leute, sondern eher mehr.

Du hast gleichzeitig zur Fertigstellung des Films ein Buch über das Thema geschrieben. Klingt ideal, denn recherchiert hast du ja eh und im Buch kann auch Eingang finden, was im Film keinen Platz hat. War die Idee wirklich so effizient umsetzbar, wie sie klingt?

Ich habe mich im Nachhinein wirklich für ein paar Sachen verflucht. Einmal wegen der Idee, mich im Film selbst in den Mittelpunkt zu stellen: Das war eine unheimlich anstrengende und schmerzhafte Erfahrung. Dokumentarfilme machen ist schon anstrengend genug, weil man immer versucht, diese Momente zu evozieren und viel dreht. Wenn du dann aber noch völlig entspannt auch vor der Kamera sein musst – was ich nie geübt hatte – das war ganz furchtbar und dafür habe ich mich total verflucht.

Und dann habe ich mich eben auch für diesen Buchauftrag verflucht. Man ist ja ganz begeistert von seinem Thema und denkt: Das ist eh‘ alles so prekär, also ein Buch, vielleicht ist das eine zusätzliche Einnahme und das ganze Material liegt nicht rum. Ich war nie der König der Zweitverwertung, das haben andere immer besser gemacht. Und ich dachte: Au ja, jetzt mach‘ ich das mal! Ich habe gedacht, ich schneide 3 Tage die Woche und schreibe 2 Tage am Buch.

Das war der Plan. Hat natürlich hinten und vorne nicht geklappt. Wir haben für den Film länger gebraucht. Ich habe nie angefangen das Buch zu schreiben während des Schnitts. Bis irgendwann der erste angekündigte Erscheinungstermin dahin strich, dann die Verlängerung und dann der Verleger gesagt hat: Also jetzt! Hier! Letzter Termin! Sonst treten wir von allem zurück!

Dann habe ich es in 2 Monaten runtergeschrieben. Wir haben kurz vor Schnitt-Schluss 2 Monate Pause gemacht, was auch nicht so schlau war für den Schnitt-Rhythmus. Ich habe dann wirklich 2 Monate jeden Tag 10 Seiten produziert. Das war aber super und hat total Spaß gemacht. Ich habe natürlich auch Angst gehabt, totalen Druck, gleichzeitig war meine Frau hochschwanger mit dem zweiten Kind. Die hat das Projekt natürlich verflucht, weil es so arbeitsintensiv war und ich habe gesagt: Ich schwöre dir, ich bin fertig mit dem Buch, wenn das Kind kommt. Und es war wirklich so: ich habe die letzte Seite geschrieben und am nächsten Tag ist das Kind gekommen.

War die Arbeit im Schneideraum wenigstens entschleunigt? Habt ihr euch zu Herzen genommen, was ihr da bearbeitet und euch öfter mal eine Auszeit gegönnt?

Wir haben schon immer lange Tage gearbeitet. Wir haben sehr viel Material gehabt, und wir haben eben auch sehr viel gutes Material gehabt – das macht es ja nicht immer leichter. Jede Episode hätte mindestens eine halbe Stunde Reportage hergegeben. Und Andy Lehmann ist auch ein Kameramann, der keinen Ausschuss dreht. Wir hatten also die Qual der Wahl. Wir haben am Anfang – weil wir beide eher beobachtende Dokumentarfilme gut finden – eher so geschnitten, wie auch mein letzter Film war. Wir haben uns ein bisschen verrannt, kann man sagen, haben schöne kleine halbstündige Kurzfilme gedreht, am Ende konnten die Szenen aber höchstens 10 Minuten lang sein. Wir haben nicht so in dem Gesamtfilm gedacht.

Bis wir den Dreh gekriegt haben, hat es ein bisschen gedauert. Auch bis wir mehr darauf vertraut haben, dass das mit dem Ich-Erzähler eigentlich ganz gut funktioniert. Aber das heißt natürlich auch, dass man eigentlich immer schon den Text im Kopf haben muss, der von A nach B führen soll. Und wie lang soll der sein? Nun habe ich auch noch nie so einen Text geschrieben, der so umgangssprachlich ist. Das musste ich auch erst einüben. Ganz viel haben wir zum ersten Mal gemacht, deswegen hat es so lange gedauert.

Auch die Findung der Filmmusik hat viel Zeit gekostet. Das war auch wieder so ein Widerspruch: Ich war mit meiner Familie im Urlaub in einem Bauernhaus in Frankreich. Das Nachbarhaus hatte W-LAN und ich habe jeden Tag – und dafür hat mich meine Frau gehasst – ich habe mir jeden Morgen Layout-Musik-Stücke von den Musikern schicken lassen, sie mir angehört und jeden Abend kommentiert. Ich war also jeden Tag 3 mal im Netz, wegen diesem blöden Film – auch im Urlaub.

Hast du inzwischen eigentlich mal digital gefastet?

Ich finde es mitunter total angenehm, das Handy auch mal zu Hause zu lassen. Ich habe das jetzt nicht in diesem langen Zeitraum wie Alex Rühle gemacht, der das ja ein halbes Jahr lang gemacht hat. Wobei ich auch gesehen habe: bei ihm hat es nicht so viel gebracht.

Ist der schon wieder voll dabei?

Der ist schon ziemlich wieder dabei, würde ich sagen. Aber auch mit den Erkenntnissen, die er daraus gezogen hat. Ich glaube, er schafft sich einfach bestimmte Zonen und Zeiten, wo er das nicht macht. Es geht ja eigentlich um dieses Sich-bewusst-werden des Ganzen. Dass man eben nicht sofort – das tue ich gerade wieder auf dieser Kino-Tour – jede Minute, die du frei bist, guckst: ist was gekommen, das ich beantworten muss? Aber das ist natürlich jetzt aus den Zwängen dieser Tour heraus. Sonst versuche ich wirklich so gut es geht auch mal Abends, wenn ich zu hause bin, das Zeug wegzulegen.

Warst du im Sommer eigentlich bei der Bergbauern-Familie Batzli auf der Alm, wie du es vorhattest?

Das Versprechen habe ich bislang noch nicht eingelöst. Die haben sich ja auch immer ein bisschen über mich lustig gemacht und ich weiß genau, was die dachten. Aber ich bin natürlich, wenn ich drehe, der Oberzuchtmeister von einem Team und wir müssen bestimmte Sachen schaffen. Aber ich mochte die total gerne. Ich habe jetzt vor zwei Wochen zum ersten Mal, seit ich da war, angerufen. Sie haben gesagt: Wir haben oft über dich geredet. Die haben wohl gedacht, irgendjemand hat den erschlagen, oder das wird nichts mehr mit dem Film. Ich habe denen jetzt ein Paket mit 5 DVDs und 5 Büchern geschickt. Ich hätte sie auch eingeladen zur Premiere, aber sie haben gesagt: Ach, lass mal. Sie haben nun noch drittes Kind, das heißt Florian. Offensichtlich haben wir uns dann doch mehr beeinflusst, als wir gedacht haben.

Wer hat dich bei deinen Begegnungen während der Arbeit am Film am meisten beeindruckt?

Also, die Batzlis haben mich schon ein Stück weit beeindruckt. Sehr beeindruckt hat mich Douglas Tompkins. Der ist wirklich in dem, was er tut, sehr radikal. Sein Konzept ist ein radikales Entschleunigungskonzept: möglichst ohne Maschinen und Computer auskommen und die Welt ein Stück weit zurückdrehen. Diese Maschinisierung zurückdrehen, um die Welt für unsere Nachfolger zu retten. Das ist nicht nur Gelaber, sondern der macht das konkret. Der ist ja auch gerne mal dabei, wenn Sea Shepherds, dieser radikalen Greenpeace-Ableger, im Nordmeer Walfangschiffe rammt. Da fährt er als ganz einfacher Matrose mit und sagt dann, das sei die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen. Das finde ich für einen fast 70-jährigen Mann einfach großartig. Da ist mir auch persönlich egal, dass er in seinem ersten Leben…

Klar, er kann das nur machen, weil er die Mittel dazu hat. Aber er setzt die Mittel wenigstens für etwas gutes ein. Das häufigste Argument, das ich in Vorstellungen und Interviews gehört habe, ist: Der kann das natürlich nur machen, weil er das Geld hat. Das nehme ich ja auch selbst auf, um dem die Schärfe zu nehmen. Aber, verdammt nochmal, wie viele Leute machen das? Es gibt sehr viel Leute, die so viel Geld haben und ich kenne keinen, der das so radikal macht. Alle paar Jahre berichtet der Spiegel über ihn. Das hat immer den Tenor: der verrückte Yankee, der anstatt Yachten Land sammelt. Ich glaube, keiner von denen hat den je getroffen. Er ist wirklich verdammt radikal und das finde ich gut. Ich finde, die Welt braucht mehr solche radikalen Leute.

Wird er auch wieder in deinem nächsten Projekt auftauchen, oder eher nicht, weil er so ein Individualist ist?

Das geht mehr aufs Gesellschaftliche. Ich glaube, Hartmut Rosa wird Teil meines nächsten Projektes, weil er eben auch ein ähnliches, riesengroßes Forschungsprojekt angeschubst hat, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit sehr großzügigen Mitteln versehen wird. Dieses Thema brennt offensichtlich: Was kann die Alternative sein zum Wachstum?

Bedingungsloses Grundeinkommen, wäre das eine Alternative, die du sofort ausprobieren würdest?

Ausprobieren auf jeden Fall. Es kann ja kein Mensch sagen, ob das funktioniert. Es gibt nur eine Menge Argumente, die dafür sprechen, dass es funktionieren könnte. Wenn wir das System anschauen, in dem wir jetzt sind, das sind ja ganz andere Voraussetzungen als noch vor 10 oder 5 Jahren. Sehr viele Leute begreifen heute, dass dieses System so nicht mehr gut funktioniert, dass immer mehr Leute abgehängt werden. Vielleicht in Deutschland momentan noch nicht so sehr, aber in 80 % von Europa haben die Leute keine Jobs mehr. Aber es gibt genug Reichtum in dieser westlichen Gesellschaft. Das wieder zusammenzubringen und den gesellschaftlichen Realitäten ins Auge zu blicken: Dass wir einen Großteil der Dinge, die wir tagtäglich benutzen, mit Maschinen produzieren und nicht mehr mit unseren Händen und deswegen ein Großteil der Leute in Europa oder der westlichen Welt nicht mehr genug Arbeit haben, um sich ein Erwerbseinkommen zu sichern. Da dieses Erwerbseinkommen aber Grundlage für ein Überlebenseinkommen ist, da ist doch ganz klar, dass dort irgendwie etwas nicht zusammen kommt. Dem muss man Rechnung tragen und sagen: Vielleicht muss man das Einkommen abkoppeln von dieser Erwerbsarbeit, wie wir sie klassisch sehen. Es gibt auch andere wertvolle Arbeit in der Gesellschaft – Gesellschaftsarbeit – und der würden viele Leute auch gerne nachgehen, wenn sie sich nicht jeden Tag im Hamsterrad eingespannt wären. Dann wäre auch viel von dieser ganzen Sozial-Bürokratie auch nicht mehr vonnöten und könnte eingespart werden.

zum 3. Teil des Interviews >

 

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