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INTERVIEW Uli Gaulke [part 1]

Dokumentarfilmer Uli Gaulke im Interview zu seinem Film As Time Goes By In Shanghai

 

Du hast schon fast überall gedreht auf der Welt: Kuba, Indien, Afrika, USA, Nordkorea, jetzt Shanghai. Da sind auffällig viele kommunistisch geprägte Länder dabei. Wie suchst du dir deine Filmthemen?

Es gibt in meinen Filmen in irgend einer Form immer einen Link zum eigenen Leben, der vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Ich habe eine Affinität zu diesen ehemals oder immer noch kommunistischen Ländern. Ich suche mir Protagonisten oder Geschichten in Gesellschaften, die sich im Umbruch befinden, kurz davor stehen, oder nach einem Umbruch gerade versuchen, einen neuen Weg zu gehen. Als ich 20 war, fiel die Mauer und da änderte sich für mich auch alles. Nämlich, dass ich Filmemacher wurde. Denn das war nicht so geplant. Physiker wollte ich werden. Ich habe dann Informatik studiert. Und ich habe sofort nach der Wende angefangen, als Filmvorführer zu arbeiten und habe dann auch ein Kino aufgemacht. Damit war plötzlich eine Richtung da, die vorher überhaupt nicht auf der Tagesordnung stand. Mich interessiert heute immer noch, wie das eigentlich so ist, mit dem Kommunismus. Was sind das für Menschen, die da leben. Und wie leben sie damit heute noch, wo es den Big Bang schon vor 25 Jahren gab.

Wie bist du auf die Peace Old Jazz Band in Shanghai gekommen?

Ich habe in einem Magazin gelesen und habe eine Doppelseite Foto aufgeschlagen: Die Skyline von Shanghai und davor, auf dem Dach von einem alten Hotel, stand diese Band. Da dachte ich: o.k.! Dann las ich, dass die seit 30 Jahren amerikanischen Jazz spielen im „Peace-Hotel“ mit der boomenden City von Shanghai drum herum. Das ist ein unglaublich spannender Kontrast zwischen diesen alten Menschen und dieser neuen Stadt, die ja nicht mehr so viel Altes hat. Da ist also etwas übrig geblieben, was mir diesen Blick auf die Stadt bis weit in die Vergangenheit zurück eröffnen kann. Und dann diese Musik! Amerikanische Musik, die von Chinesen gespielt wird. Ich wusste, das muss zu gewissen Zeiten im Leben nicht einfach gewesen sein. Das hat natürlich extrem mein Interesse forciert.

Die Kulturrevolution ist präsent in den Erzählungen der alten Musiker. Hat sich das so ergeben, weil es ihr Leben stark geprägt hat, oder hast du hinsichtlich der Thematik insistiert?

Sie glauben zu wissen, dass wir das immer wissen wollen, dass der Westen immer danach fragt. Deshalb haben sie sich am Anfang ein wenig dagegen gesträubt. Ich habe aber generell mit ihnen besprochen, dass es um ihr Leben geht. Es war schon ein sehr entscheidender Einschnitt in ihrem Leben. Musiker und Künstler hatten am meisten unter dieser Zeit zu leiden. Es war für sie ein relevantes Thema. Der Drummer hat sehr bereitwillig und fast ungefragt darüber Auskunft gegeben und gleich noch erzählt, wie es seinem Kollegen ergangen ist. Der wiederum hat dann gar nichts erzählt. Einmal ging ich mit dem einen Saxophonisten durch die Straßen und auf einmal sagt er: Da ist einer vom Dach gesprungen, weil er den Druck der Kulturrevolution nicht ausgehalten hat. Das kam dann wirklich spontan und so ist es jetzt ja auch im Film. Erinnerung spielt bei den alten Menschen immer eine große Rolle. Zumal sie ja nichts von dem, was sie in Erinnerung haben, noch sehen. Das ist alles verschwunden, die Stadt hat das alles weg gepustet.

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Wie hast du die Nähe zu deinen Protagonisten aufgebaut? Du sprichst ja sicher kein Chinesisch. Hattet ihr immer einen Übersetzer dabei?

Ich hatte einen Deutschen dabei, den ich sehr gut kenne, der in Peking lebt und mit einer Chinesin verheiratet ist. Der wirklich fließend ein sehr schönes weiches Chinesisch spricht. Den hatten sie in ihr Herz geschlossen und nannten ihn immer „Unseren kleinen Schwiegersohn“. Das mit der Nähe, das hat allerdings eine ganze Weile gedauert. Das ist das Resultat von einem langen Weg. Wo es nicht funktionierte, haben wir einfach nicht gedreht. Ich bin generell so, dass ich das dann aussitze und ihnen immer wieder sage: Das brauchen wir gar nicht zu machen, das bringt nichts, das findet keinen Weg in den Film. Ich mache ihnen da nichts vor. Ich habe ihnen gesagt, wo die Reise hingehen soll und habe gesagt: Ich nehme mir die Zeit – aber wir müssen da auch hinkommen. Wir müssen dahin kommen, dass ihr mir wirklich von euch erzählt und nicht nur von eurer Rolle, die ihr für jemanden spielt. Dass sie tolle Musiker sind, dass erzählen sie mir drei Mal am Tag. Aber was wirklich in ihnen vorgeht und wo sie ins Nachdenken kommen – das braucht wirklich Zeit. Das haben wir auch erst bei unserem zweiten Dreh in Shanghai bekommen.

Ist es nicht schwierig als Regisseur immer erst zeitverzögert die Übersetzung dessen zu bekommen, was sich gerade vor der Kamera abspielt

Dadurch, dass ich schon seit 15 Jahren im Ausland drehe und immer mit dieser Situation konfrontiert bin, dass ich jemanden an meiner Seite habe, der mir übersetzt, haben wir ein System erarbeitet, das recht unabhängig funktioniert. Wir arbeiten relativ früh an dem Stoff, so dass der Übersetzer genau weiß, worum es mir geht. Ich setze Schwerpunkte, um die der Film kreist. In dem Moment, wo das Gespräch geführt wird, ist der Übersetzer der Ansprechpartner. Er redet mit den Leuten. Er muss mir dann auch nicht übersetzen. Ich gucke mir das an und verfolge ganz genau, wie sie darauf reagieren und studiere ihre Körpersprache und ihre Gesichter. Wenn etwas emotional ist, siehst du das an den Gesichtern. Wenn die Frage beantwortet ist, bekomme ich einen kurzen Abriss, worum es ging. In der Mischung mit dem, was ich gesehen habe, kann ich mir dann vorstellen, ob es gut war oder nicht. Ich brauche nicht wirklich den exakten Inhalt in der ersten Runde.

Ich rede ja auch mit den Protagonisten. Bevor die Kamera angeht, wissen auch die, worum es mir geht. Deswegen herrscht da erst Mal eine Freiheit, sich in einem gesetzten Rahmen zu bewegen – und das will ich auch, ich will zunächst gar nicht so forcieren. Die Protagonisten sind eh in einer Position, wo sie von Fremden belagert werden. Das muss man Stück für Stück aufbrechen. Das muss nachher immer auf Augenhöhe sein. So dass sie frei von sich erzählen können, ohne darüber nachzudenken, ob es das richtige ist, was sie da erzählen. Das schlimmste wäre, wenn sie ständig darüber nachdenken, ob mir das gefällt. Das würde vielleicht passieren, wenn ich zu viel nachfragen würde. Dadurch, dass wir viel Zeit verbringen und wir Abends zusammen mit dem Übersetzer immer ganz exakt diskutieren und nochmal in das Material gucken, können wir am nächsten Tag auch noch mal ansetzen

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Du weißt vor dem Drehen genau, welche Themen dich interessieren. Schaffst du beim Drehen dann auch extra Situationen, die genau das freisetzen? In wie weit inszenierst du?

Es geht ja immer um Alltag und im Alltag treten viele Dinge immer wieder regelmäßig auf . Ich beobachte erst mal und schaue wann die Dinge, die ich wichtig finde, wiederkommen. Und dann geh ich ran. Klar passieren auch immer spontane Sachen, wo ich sofort sehe: das ist jetzt was. Dann sind wir auch dran und drehen das sofort.

Und dann gibt es Situationen, wenn es eine Szene sein soll, wo ich mit beiden Seiten rede und sie darauf vorbereite, was mich daran interessiert. Die Szene an sich gibt es. Die Szene gibt es jeden Tag. Aber ich will, dass sie in diesem Moment wirklich gut wird. Deshalb sage ich ihnen, dass ich das jetzt drehen will und warum ich das drehen will. Dann geben die sogar noch ein bisschen mehr Energie rein. Es kommt mehr aus ihnen raus und sie entdecken selber noch Dinge, die sie vielleicht – wenn sie nicht wüssten, was mich daran interessiert – nicht hervor zaubern würden. So dass man immer auch auf die Zauberei innerhalb einer Situation setzen kann – das etwas passiert, von dem keiner weiß, das es passieren wird. Letztendlich ist das immer die Realität. Sie ist nur fokussiert.

Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion im Dokumentarfilm verschieben sich immer weiter. Beim DOK Festival in Leipzig sind die Gewinner der Goldenen Taube im Internationalen Wettbewerb in den letzten Jahren durchgehend Filme, die die Grenze zur Inszenierung überschreiten. Wie siehst du das?

Also bei mir gibt es Grenzen. Ich würde zum Beispiel Leute nie in eine Situation bringen, die für sie ungewohnt ist, die mit ihrem Leben und mit ihrem Alltag nichts zu tun hat. Never! Es gibt wirklich eine Grenze. Das muss mit den Dingen, die ich beobachtet habe, immer konform laufen. Es kann an einem Tag passieren, wo es vielleicht sonst nicht passiert. Aber weil ich weiß, dass es passieren kann oder mit den Protagonisten gesprochen habe, dass diese Möglichkeit besteht, forciere ich das. Und dann kommen zum Teil unglaublich spannende und schöne Sachen dabei raus, wo sich die Protagonisten dann selber auch noch mal neu entdecken können. Wo ihnen danach richtig ein Stein vom Herzen fällt, weil sie z.B. Dinge lange vor sich her schieben, die dann mit der Kamera und mit diesem intensiven Zusammensein mit uns als Dreh-Team mit einem Mal eine ganz andere Relevanz kriegen. Ich gebe den Leuten das Gefühl, dass das Vertrauen in guten Händen ist. Und dann komme ich meistens mit dem Film zurück und alles ist gut. Das war bei den Chinesen auch so. Die waren am Anfang sehr misstrauisch. Um so glücklicher sind sie jetzt mit dem Ergebnis.

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Du spielst selbst Trompete. Hast du dich auch mal hingesetzt und mit den alten Herren Musik gemacht? Um mit ihnen anzudocken

Ich habe die Trompete einfach mal rausgeholt und kurz zwei drei Sachen getrötet. Es war völlig egal, wie es klingt. Aber die Musiker wussten, sie drehen jetzt nicht mit einem, der von Musik überhaupt keine Ahnung hat. Bei all meinen Geschichten gibt es so einen Link zu meiner Person. Bei den Filmvorführern in Comrades in Dreams habe ich auch Filme vorgeführt. Bei Havanna, mi Amor damals, bei dem Fernsehmechaniker, mit dem habe ich auch mal ein Radio zusammen gelötet. An Dinge, von denen ich keine Ahnung habe, traue ich mich auch nicht so ran. Obwohl das manchmal auch nicht schlecht ist, ich lasse mich auch gerne überraschen.

Aber eigene Stoffe haben bei mir einen durchgehenden Style. Da gibt es wirklich eine Linie drin. Auch bei den Moskauer Taxifrauen in Pink Taxi zum Beispiel, das waren für mich immer meine Brieffreundinnen von früher aus dem Osten. Das war die gleiche Generation. Bei den größeren Filmen, die für das Kino sind, da spielt meine persönliche Geschichte für das Finden der Geschichte eine große Rolle.

In As Time Goes By In Shanghai finde ich die Montagesequenz sehr schön, wo die alten Musiker bei Nacht durch die Stadt fahren, zu einer modernen Version von „Quizás, quizás, quizás“. Hier sind verweben sich Vergangenheit und Gegenwart. Und Erinnerungen an Wong Kar-Wai Filme werden geweckt.

Das war auch die Inspiration für den Style vom Film. Der kommt schon aus dem Won Kar-Wai Film In the Mood for Love. Die alten Musiker bewegen sich jeden Tag durch die Stadt. Jeder bewegt sich eine Stunde hin, eine Stunde zurück. Und das musst du erst mal bringen als alter Mensch. Wenn ich meine Mutter jeden Tag durch so eine 20 Millionen-Stadt schicken würde, die würde mir einen Vogel zeigen. Und die Musiker schickt keiner, das machen die selber. Der eine sitzt auf dem Moped, der andere im Bus, der nächste im Taxi. Das sind Wege ohne Ende. Und das sind auch schöne Perspektiven, wenn sie so in ihre verschiedenen Viertel fahren und dann zurückkommen in das Hotel im Stadt-Zentrum.

Das Hotel funktioniert gut als Punkt, wo sie alle zusammen kommen. Nicht nur, dass sie zusammen spielen, sondern auch die Besprechungen mit dem Manager in dem Restaurant-Raum weit oben. Finden die wirklich so statt, oder hast du nachgeholfen?

Sie finden so statt. Sie finden aber in einem Raum statt, der visuell so verheerend ist, dass man für die Kinoleinwand …. da würde man verrückt werden. Deswegen haben wir gesagt: Also ehe ihr hier unten im Keller sitzt, dann lasst uns doch hoch fahren und wir laden euch zum Essen ein – auch ein bisschen als Dank dafür, dass sie mit uns zusammenarbeiten, denn wir ziehen sie immer wieder raus aus ihrer sehr getakteten Welt – und ihr macht eure Band-Besprechung hier. Mit solchen Sachen operiere ich gerne, weil ich natürlich immer weiß, es ist ein Kino-Film, der muss auf der Leinwand auch eine visuelle Attraktivität haben. Das bringt die Sache dann viel mehr zum Leuchten, denn sie fühlen sich wohl, das muss man auch bedenken. Die wollen nicht gleich wieder aufstehen und raus. Man kann da ja auch überall rauchen. Das ist auch wichtig bei den Musikern. Die zünden sich ja eine Fluppe nach der anderen an. Diese ganze Runde ging dann bestimmt drei Stunden. Der Manager hatte mehr als 10 Punkte auf dem Zettel, die er besprechen wollte.

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As Time goes by in Shanghai liefert wirklich Bilder für die große Leinwand. Ist es dein erster Film, den du digital gedreht hast?

In der Größe und Technologie ja. Ich habe schon Mal auf Video gedreht, aber nicht auf diesem neuen Kino-Digitalformat.

Wie ist denn das für dich. Du hast selbst ein Kino betrieben und bist auch Filmvorführer …

Ich habe im Osten bei der Armee Filmvorführer gelernt. Ich habe auch bei der Armee Filme vorgeführt.

Wie ist für dich der Umbau der Film- und Kino-Welt zum Digitalen?

Jetzt geht es wieder. Jetzt ist es ästhetisch vertretbar. Jetzt ist die Technologie so weit, dass es mit dem normalen Auge nicht mehr auszumachen ist, was der Unterschied ist. Jetzt kann man wieder gestalten. Vorher konnte man mit elektronischen Kameras eigentlich nur aufnehmen und dann war alles scharf. Jetzt kann man wieder Unschärfen gestalterisch einsetzen, an hat mehr Farbtiefe, die Kameras sind lichtstärker. Du kannst schon mal 10 Minuten mehr drehen, ohne gleich tot umzufallen, weil das Material so teuer war. Das ist schon angenehmer. Trotzdem will ich mich immer noch beschränken in der Frage, was ich alles drehe. Das ist letztendlich auch eine inhaltliche Entscheidung, dass man sich schon beim Drehen Gedanken macht, was man eigentlich am Ende daraus machen will. Das ist für alle Seiten, also für den Kameramann und auch für die Protagonisten besser, wenn nicht so viel gedreht wird.

Auch für den Schnitt.

(lacht) Eben.

Wie tickst du denn in der Schnitt-Phase? Bist du immer dabei, oder lässt du erst mal den Filmeditor machen, oder schneidest du selbst mit?

Ich schneide leider Gottes immer noch sehr viel selbst. Am Anfang, bei den ersten Filmen, da habe ich überhaupt keinem so richtig über den Weg getraut, das Material zu bearbeiten.Weil es mir sehr am Herzen lag und ich nicht so viel darüber reden wollte, was ich mir dabei gedacht habe. Ich hatte dann meistens schon eine sehr intensive Dreh-Phase hinter mir und wollte dann erst mal allein sein mit dem Material. Nach all den Jahren wird es für mich jetzt mehr und mehr vom Handwerk her echt anstrengend, das immer selber zu machen. Inhaltlich finde ich das trotzdem immer noch spannend, die eine oder andere Sache selber auszuprobieren.

Ich habe aber auch schon die eine oder andere Erfahrung gemacht mit einem Cutter, die so gut war, dass ich gemerkt habe, dass das einen extremen Mehrwert hat. Wenn da wirklich Dinge entstehen, auf die ich nicht kommen würde, wo ich in dem Moment wirklich sage: das ist gut, das ist im Sinne meines Materials und das ist trotzdem das, was mir nicht eingefallen wäre – sofort teile ich die Arbeit. Aber wenn ich das Gefühl habe, bei der Zusammenarbeit kommen jetzt keine besseren Ideen rüber, dann brauche ich das nicht, dann mache ich das lieber alleine. Es ist immer die Frage, weit weit man da zusammen kommt und wieweit jeder übers Ziel hinaus schießt. Das Material selber, da gibt es nicht so viele Möglichkeiten das zu schneiden. Da muss man sich schon mit dem wenigen anfreunden, was da ist. Dadurch, dass meine Filme oft auf Stimmungen aufbauen, muss man diese erst Mal erzeugen, manchmal durch andere Mittel. Dann kriegt auch ein inhaltlich eigentlich wenig bietender O-Ton im Zusammenspiel mit Bild und Ton und anderen Dingen viel mehr Gewicht. Das richtig auszubalancieren ist das schwierige bei meinen Filmen. Ich gehe nicht so sehr auf Inhalt.

> zum 2. Teil des Interviews >

 

 

 

 

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