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VERGISS MEIN NICHT

Ein beeindruckender Film über Alzheimer und andere Familien-Angelegenheiten

Vergiss mein nicht

VERGISS MEIN NICHT | Regie: David Sieveking | D 2012

Es hätte schnell voyeuristisches Betroffenheitskino werden können: Ein junger Dokumentarfilmer entscheidet sich, seinen Vater bei der Pflege der demenzkranken Mutter zu unterstützen – und macht darüber währenddessen einen Film. Vergiss mein nicht heißt dieser sehr persönliche Dokumentarfilm von David Sieveking, der sehr berührend ist, aber zum Glück kein Betroffenheitskino.

Wie schon bei seinem letzten Film David wants to fly  scheut sich Sieveking nicht davor, selbst vor der Kamera zu agieren und aus dem Off zu kommentieren. Was damals mitunter den aufdringlichen Beigeschmack einer egozentrischen Nabelschau hatte, ist jetzt angenehm zurückgenommen umgesetzt. Nicht der Regisseur, hier in Personalunion auch Sohn und Pfleger, steht im Zentrum des Films, sondern seine Mutter Gretel und die Auswirkungen ihrer Alzheimer-Demenz.

„Aus der Tragödie meiner Mutter ist kein Krankheits-, sondern ein Liebesfilm entstanden, der mit melancholischer Heiterkeit erfüllt ist“, sagt Sieveking. Während Gretel ihr Gedächtnis verliert, findet ihr Sohn wieder näher zu ihr, auch indem er sich erstmals richtig für die Vergangenheit seiner Eltern interessiert: Hat die offene Ehe der beiden wirklich so gut funktioniert? Während sein Vater Malte in den 70er Jahren in Zürich an seiner akademischen Laufbahn als Mathematiker arbeitete, betätigte sich seine Frau als sozialistische Berufsrevolutionärin. David recherchiert, stößt auf Überwachungsakten, macht alte Weggefährten und Geliebte ausfindig, spricht mit ihnen und leistet Erinnerungsarbeit, zu der seine Mutter nicht mehr in der Lage ist.

Dabei entsteht das Porträt einer engagierten, selbstbestimmten Frau, die nun durch Alzheimer langsam ihre alte Persönlichkeit verliert, dabei aber neuen Zugang zu ihren Emotionen gewinnt. Mit warmherzig nachdenklichem Ton kommentiert Sieveking die Annäherung an die Mutter, die gleichzeitig ein langer, liebevoller Abschied ist.

Viele Erschwernisse der häuslichen Pflege erzählen sich im Film nur in Andeutungen, trotzdem wird die Belastung aller Familienmitglieder deutlich. Es ist ausgerechnet die 96-jährige, im Seniorenheim lebende Mutter von Vater Malte, die – schwerhörig zwar, aber hellwach – die Situation kritisch hinterfragt: „Kommst du zum Leben?“ Eine Frage, mit der sich immer mehr Angehörige auseinandersetzen müssen, denn rund 1,3 Mio. Menschen leiden in Deutschland bereits an Demenz.

 

[Kirsten Kieninger, zuerst erschienen in der RNZ vom 31.01.2013]

Filmdaten:

Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2012
Länge: 88 Min.
Verleih: farbfilm Verleih
Kinostart: 31.01.2013
Regie: David Sieveking
Drehbuch: David Sieveking
Kamera: Adrian Stähli
Montage: Catrin Vogt
Musik: Jessica de Rooij

 

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