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„Das Kino ist eine Erfindung ohne Zukunft“

Zum 150. Geburtstag von Auguste Lumière, einem der wichtigsten Väter des Kinos

 

Heute würde kaum jemand sein schlankes Smartphone der neuesten Generation zücken, um die Einfahrt eines Zuges als Ereignis für die Ewigkeit festzuhalten. Doch die Brüder Lumière taten im Prinzip nichts anderes: Sie bauten Ende des 19. Jahrhunderts ihre neueste technische Entwicklung, den rund 5 kg „leichten“ Cinématographe auf dem Bahnsteig auf und kurbelten 50 Sekunden Film herunter – und schrieben mit damit Filmgeschichte. Die Legende will, dass bei den öffentlichen Vorführungen von Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat, das Publikum kreischend von den Sitzen sprang, als es den Zug auf der Leinwand auf sich zu fahren sah.

Entscheidend ist allerdings die Tatsache, dass sich ihr Cinématographe als wichtigster Geburtshelfer des Massenmediums Film erweisen sollte. Und das, obwohl die Erfinder selbst ihrer Apparatur jede Aussicht auf nachhaltigen Erfolg absprachen:. „Junger Mann, diese Erfindung ist nicht zu verkaufen, und für Sie wäre sie der Ruin. Man kann sie einige Zeit als wissenschaftliche Kuriosität ausbeuten, aber davon abgesehen besitzt sie keine kommerzielle Zukunft“. Mit diesen Worten fertigte M. Lumière Sen. den Filmpionier Georges Méliès ab (der mit Die Reise zum Mond 1902 den ersten Science-Fiction Film drehen sollte), als seine beiden Söhne Auguste und Louis ihren Cinématographen 1895 der Öffentlichkeit vorstellen.

Auguste Lumière wurde am 19. Oktober 1862 in Besançon geboren. Zusammen mit seinem zwei Jahre jüngerer Bruder Louis arbeitete er früh im väterlichen Fotogeschäft in Lyon mit. Mit selbst entwickelten, hochempfindlichen Gelatine-Fotoplatten waren sie bald sehr erfolgreich: 1894 stellten die Lumière-Brüder etwa 15 Millionen Fotoplatten her und beschäftigten 300 Arbeiter. Derweil lag die Erfindung der Bewegtbild-Fotografie in der Luft: Schon in den 1880er Jahren hielten erfindungsreiche Fotografen wie Eadweard Muybridge oder Étienne-Jules Marey Bewegungen von Tieren und Menschen in Reihen-Aufnahmen fest (Chronofotografie).

1991 entwickelte Thomas Alva Edison sein Kinetoskop. Ein Muster eines Filmstreifens, wie sie in den von Edison bald erfolgreich vertriebenen Apparaten mit einer Geschwindigkeit von 48 Bildern pro Sekunde ohne Halt hindurch gejagt wurden, brachte Antoine Lumière seinen Söhnen im Sommer 1894 aus Paris mit. Er beschrieb ihnen Edisons Apparatur, bei der im Guckkastenprinzip nur ein Zuschauer den Film durch eine Vergrößerungslinse betrachten konnte. Noch im selben Jahr entwickelte Louis einen intermittierenden Filmantrieb, der durch in Perforationen greifende Zähne den Filmstreifen mit nur 16 Bildern pro Sekunde kontrolliert transportierte – und noch heute in analogen Filmkameras zum Einsatz kommt. Der am 13. Februar 1895 patentierte Cinématographe ließ sich als Filmkamera, Kopiermaschine und Filmprojektor einsetzen.

Arbeiter verlassen die Lumière-Werke

Der erste Film, den die Brüder damit drehten, war Arbeiter verlassen die Lumière-Werke: Fabriktore öffnen sich, Arbeiter strömen hinaus, die Fabriktore schließen sich wieder. 50 Sekunden, die das kurzzeitig sehr beliebte Genre der „Fabriktorfilme“ begründeten. In Deutschland z.B. gab der Schokoladenfabrikant Ludwig Stollwerck 1896 den Film „Feierabend einer Kölner Fabrik“ in Auftrag. Der Originalstreifen war einer von den zehn Filmen, die die Lumières in Paris erstmals einem zahlenden Publikum im Keller des Grand Café vorführten. Obwohl in Berlin Max und Emil Skladanowsky schon einen Monat früher mit dem von ihnen entwickelten Bioskop öffentlich Bewegtbilder vorführten, gilt der 28. Dezember 1895 heute als Geburtsstunde des kommerziellen Kinos.

Die Brüder Lumière bewiesen durchaus Geschäftssinn: Im Januar besuchten bis zu 2500 Zuschauer täglich ihre Vorführungen. Sie kontrollierten die Vermarktung ihrer Erfindung streng, produzierten selbst viele Filme (in denen Auguste oft zu sehen ist) und waren schnell die führenden Filmproduzenten ihrer Zeit. Bald jedoch wähnten sie das kommerzielle Potential ihrer Erfindung ausgeschöpft, verkauften die Patentrechte und kehrten dem weltweit erwachenden Filmbusiness den Rücken.

Louis beschäftigte sich lieber mit der Weiterentwicklung der Farbfotografie. Er entwickelte zwischen 1904 und 1907 den Autochrome-Farbentwicklungsprozess, der über zwei Jahrzehnte die populärste Methode der Farbfotografie bleiben sollte. Auguste dagegen wandte sich der Medizin-Technik und Forschung zu. Die Erlöse aus dem neuesten Patent seines Bruders nutzte er, um ein Forschungslabor mit 150 Angestellten zu gründen. Er betrieb das erste funktionierende Röntgen-Gerät in Frankreich, forschte u.a. über Tuberkulose und Krebs und schrieb über ein Dutzend Fachbücher. Auguste Lumière starb am 10. April 1854 im Alter von 92 Jahren.

[Kirsten Kieninger, am 19.10.2012 erschienen in der RNZ]

 

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