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INTERVIEW: Filmfestivalleiter Dr. Michael Kötz

Ein Gespräch mit Festivalleiter Dr. Michael Kötz anlässlich des 60. Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg

Festivalleiter Dr. Michael Kötz (Foto: Ben Pakalski / www.pakalski.de)

Dr. Michael Kötz ist ein Mann des Wortes, der es sich nicht nehmen lässt, sämtliche Reden, die er während des Festivals hält – und das sind nicht wenige – selbst zu schreiben. Seit Jahren tanzt der Mann als Direktor auf zwei Film-Festivals, dem Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg und dem Festival des deutschen Films Ludwigshafen, die er beide verantwortet. Zum 60. Jubiläum des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg ist er auch noch unter die Filmemacher gegangen. Sein Film-Essay „Sinnlichkeit & Wahrheit“ ist eine Reise durch die Festivalgeschichte. Doch er ist keiner, der nur in der Vergangenheit schwelgen will und so entwickelt sich unser Gespräch zu einer lebhaften Debatte über die Zukunft des Kinos und den Sinn und Unsinn von 3D.

Das Festival geht in die 60. Runde, Sie selbst sind seit 20 Jahren dabei. Schon ein wenig müde, oder noch viel vor?

Es ist sogar noch schlimmer: Das Festival ist genauso alt wie ich. Das Festival wurde 60 und ich auch. Das war schon immer so. Als das Festival 50 wurde, wurde ich auch 50 und als es 40 wurde, habe ich angefangen. Ja, das hat was…. Man gewöhnt sich aber dran. (lacht) Was soll man machen, ich kann auch sagen: erst 60, ist doch schön. Festivals altern sowieso nicht wirklich. Sie haben dann eine Geschichte, sie atmen Geschichte und sie haben viele Geschichten zu erzählen aus dieser Zeit: tausende von Filmen, Regisseuren, Gästen, Mitarbeitern – gigantisch, wenn man das addiert. Aber wahrscheinlich werden sie auch 200 Jahre alt und wir nicht. Insofern haben sie eine andere Art mit der Zeit umzugehen, die Jahre werden halt durchgezählt.

Das 60. Jahr, Zeit zurückzuschauen, was dem Festivalbesucher mit 2 Sonderreihen im Programm ermöglicht wird („Zurückgespult!“, „Zeitreise“). Was sehen Sie als Festival-Direktor, wenn Sie voraus schauen?

Ich finde das 60. Jubiläum allein ist ja jetzt kein Grund zu feiern. Man kann sich freuen, dass man nicht schon vorher gestorben ist. Das Festival kann sich auch freuen, dass es nicht schon vorher abgeschafft wurde, weil irgend jemand dachte, er müsste Geld sparen in der öffentlichen Hand. Insofern ist es schön, dass das Festival nun schon in die 60. Runde gehen kann. Wenn man ans Publikum denkt, sagt man: O.k., es gibt vielleicht welche, die eine Zeitreise damit machen wollen. Die mal gucken wollen: Wie war denn das da in den 50ern? Es ist doch erstaunlich, das da sieben Jahre nach Kriegsende in einem relativ zerbombten Mannheim eine Filmwoche gegründet wird. Man denkt doch: haben die nicht erst mal Gemüse angebaut, damit sie durchkommen? Da gründen die ein Filmfestival und warum? Damit befasse ich mich in meinem Film und dem Buch. Es ist schon interessant, zurück zu blicken, aber ein Festival muss natürlich auch jedes Jahr neu sein und neue Sachen bieten. Also haben wir auch dieses Jahr ein wunderbares Programm von jungen Regisseurinnen und Regisseuren, die wir aus hunderten von Filmen ausgesucht haben. Hinter dem Festival steckt eine große Recherchearbeit. Wir machen das nicht wie die anderen, wir stürzen uns nicht auf Filme, von denen schon die Rede ist und die andere Festivals schon gezeigt haben. Wir zeigen unsere eigenen Filme, unsere eigenen Entdeckungen. Das ist sehr anstrengend, aber es ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Die Reputation, die wir damit haben, ist unser Kapital.

In der Vergangenheit waren auf dem Festival junge Regietalente zu Gast, die später weltberühmt wurden. Wo sind solche Entdeckungen heute?

Ich habe darüber auch nachgedacht. Es kommt einem so vor, als sei das heute nicht mehr möglich. Was aber daran liegt, dass früher die ganze Filmbranche ein Netz von vor sich hin werkelnden Manufakturbetrieben war mit lauter Einzelhändlern. Es gab noch keine Supermärkte, es gab nur kleine Tante-Emma-Läden und einige davon wurden berühmt: Der Tante-Emma-Laden Jarmusch, der Tante-Emma-Laden Wenders, Fassbinder. Inzwischen ist jeder, der anfängt Filme zu machen, direkt in der neuen Schwerindustrie untergebracht. Wir haben mindestens 8000 Newcomerfilme jedes Jahr weltweit! Das Hauptproblem von jungen Regisseuren ist, überhaupt eine Chance zu kriegen, aufzufallen. So ähnlich wie in der Popmusik. Im Grunde ist das ja nicht nur im Film so. Versuch doch mal heute ein Popstar zu sein und es dein Leben lang zu bleiben. Das ist ganz schwer. Und das ist im Film im Grunde dasselbe. Wir entdecken immer wieder Regisseure hier, die dann mit ihrem zweiten Film in Cannes oder Venedig sind. Aber viele verschwinden auch gleich wieder. Und die Chance, dass die, die es schaffen, dann auch in aller Munde sind, ist angesichts dieser Flut von Filmen geringer geworden. Und das ist eigentlich das, was sich verändert hat.

Es gibt immer mehr Festivals, gleichzeitig sterben die Kino weg. Würden Sie heutzutage ein Kino aufmachen?

Ja.

Ja? (erstaunt) Mit welchem Konzept?

Mit dem des Festivals – so weit es geht. Es gibt zu wenig Kinos, die von Menschen gemacht werden, die Film lieben, sich auskennen und vor allen Dingen eines tun: ein Publikum aufbauen und an das Haus binden. Im Grunde funktioniert Programmkino – oder Arthouse-Kino – nur dann, wenn die Zuschauer am Abend ins Kino kommen, obwohl sie nicht mal genau wissen, was da läuft, auf Verdacht. Dann funktioniert’s. Wenn die nur kommen, weil der Film gehyped ist und sie den auch sehen wollen – also Erstaufführungstheater im Prinzip – dann haben die Programmkinos verloren. Diesen Weg zu gehen war ein Fehler – der ausgebügelt wird durch die vielen Filmfestivals, die das andere machen. Da gibt es nämlich die Loyalität an das Filmfestival, die es eigentlich auch an das Kino geben müsste. Wir sind jetzt arbeitsmäßig ausgelastet, sonst würde ich’s glatt machen, ich überlege es auch immer noch. Ernsthaft. Das hat was.

Wenn wir die Trends betrachten: Wird das Festival spätestens zum 70. Jubiläum digital und 3D-tauglich dastehen müssen?

Ja, aber das ist kein Problem, vielleicht kostet das ’ne Mark achtzig mehr, nur: Die ganze Richtung ist Käse! 3D ist eine dieser typischen bauernschlauen Kinobranchen-Ideen. Das hat alles schon eine Vorgeschichte. Als das Fernsehen expandierte und die Leute nicht mehr ins Kino kamen, da hatten die so einen Schiss, dass sie gesagt haben: Jetzt müssen wir folgendes machen, wir haben jetzt weniger Zuschauer, jetzt machen wir aus unseren großen Sälen drei kleine, 3 kleine Kinos würgen wir da rein. Was sie vergessen haben ist, dass die Leute dann erst recht nicht kommen müssen, denn die Leinwand war dann ungefähr so groß wie daheim. Die haben ihr eigentliches Kapital – nämlich dieser große Raum zu sein, in dem viele Menschen zusammenkommen – das haben sie aufs Spiel gesetzt. (redet sich in „Rage“) So: 3D… 3D ist genau dieselbe Idee. Wie wenn der Jurist in einem komplizierten Prozess einen Formfehler findet – dann nimmt er den, da kommt er durch, da muss er sich mit der Sache nicht befassen. Das Kino entdeckt eine rein technische Möglichkeit, besonders zu sein mit etwas, was angeblich das Fernsehen nicht schafft.

Aber es gab immer umwälzende technische Neuerungen im Kino, die sich durchgesetzt haben, obwohl sie erst einmal Debatten auslösten: Tonfilm, Farbfilm…

Und jetzt haben sie 3D entdeckt und wann macht das Fernsehen 3D? Übermorgen?

Ja klar, gibt’s ja schon.

Also ist er wieder weg, der Vorteil. Dafür rüsten alle Kinos auf 3D um, die Hälfte geht pleite, weil sie das Geld nicht haben und anschließen kommen die Leute nicht. Ja, das ist doch nicht das Problem an der Wurzel erfasst! Das ist doch eine auch kaufmännisch nicht sehr kluge Strategie. Ich muss doch, wenn ich wirtschaftlich durchkommen will, überlegen: Was ist denn das Spezifische? Was habe ich denn als Kino wirklich als Kapital? Ich habe eine Situation, in der die Menschen nicht gleichzeitig Zeitung lesen und telefonieren können, sondern sich konzentrieren müssen. Ich nehme sie gefangen in einem Raum und das ist mein Kapital. Mit dem muss ich arbeiten. Mit dem Raum, den ich habe. Und ich muss den Raum verbessern. Ich muss vielleicht dafür sorgen, dass es da drin still ist. Ich muss Konzentration ermöglichen, ich muss meine Toiletten sauber halten und die Leute nicht hinten in den Hinterhof raus schicken, wenn ich fertig bin, wenn ich abgemolken habe. Also: ich muss mich mit dem Raum, dem Ort befassen. Dann habe ich etwas besonderes, was die anderen so schnell nicht haben werden.

Wie die Astor Film Lounge in Berlin?

Ja, das ist eine Lösung. Ich muss es aufwerten. Wenn Filme billig und schnell zu kriegen sind, dann muss ich dafür sorgen, dass es etwas besonderes ist, einen Film zu sehen. Und außerdem muss ich bei 3D kurz nachdenken ob ich… Also, wie soll ich das überhaupt sagen… Wenn ich eine Weltraumkampfszene für Jugendliche in 3D mache, sind die völlig berauscht. Aber wenn ich einen Dialog zwischen Vater und Sohn über die missratene Kindheit in 3D zeige: Was soll denn das? Da brauch ich schon Dolby-Surround nicht. Das war schon der andere Schwachsinn.

Andreas Dresen bekommt in Mannheim den Master of Cinema Award verliehen. Da müsste sich doch ein Kreis für Sie schließen, Dresen war schon Anfang der 90er mit seinem ersten Film Gast des Festivals?

Ja, aber da war ich aber noch nicht da. Er war 1990 hier, das war das letzte Jahr meiner Vorgängerin. Ich kenne ihn auch gar nicht besonders, ich habe aber trotzdem eine Rede über ihn geschrieben. (schmunzelt) Bin gespannt, was er sagt.

Gibt es etwas, worauf Sie sich besonders freuen, jetzt beim 60. Jubiläum des Festivals?

(überlegt) Also ehrlich gesagt, am aufgeregtesten bin ich wegen meines eigenen Films. Da bin ich Autor, und Autoren sind empfindlich. Ein Festival-Direktor freut sich auch über Beifall und mag keine Kritik, hat aber auch eine Distanz dazu. Aber als Autor, wenn du selber geschrieben, gesprochen und geschnitten hast, dann ist das schon etwas Besonderes. Da bin ich sehr gespannt, was man sagt.

Das Interview erschien in anderer, gekürzter Form in der RNZ vom 10.11.2011

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